WOHNEN IN DER KRISE

Wohnen neu denken – Degrowth und die Zukunft des Wohnens
Wohnen ist weit mehr als ein Dach über dem Kopf. Es ist ein Grundbedürfnis, ein Menschenrecht – und doch wird Wohnraum in unserer kapitalistischen Gesellschaft zur Ware gemacht. „Housing exists within a tension between housing as a commodity and housing as a human right“ (Nelson, Anitra: 2019). Doch dieses Spannungsfeld führt zu Krisen: steigende Mieten, zunehmender Leerstand und sozialer Ausschluss stehen einer gerechten Wohnraumversorgung im Weg.
Der Leerstand von Wohnungen in Wien stellt ein erhebliches Problem für den angespannten Wohnungsmarkt dar. Schätzungen zufolge stehen in der Stadt bis zu 80.000 Wohnungen leer, was nicht nur den Zugang zu leistbarem Wohnraum einschränkt, sondern auch die Notwendigkeit erhöht, neue Flächen zu verbauen. Dies verursacht sowohl ökologische als auch soziale Kosten, wie eine Allianz aus Initiativen betont, die im Vorfeld der Wien-Wahl 2025 eine Diskussion zur Mobilisierung leerstehender Flächen angestoßen hat.
Die Forderungen reichen von der Einführung einer systematischen Leerstandserhebung – wie sie etwa in Salzburg oder Tirol bereits umgesetzt wird – bis hin zur Einführung einer Leerstandsabgabe. Ein Modell der Grünen schlägt eine moderate Abgabe vor, die bei einer 75-Quadratmeter-Wohnung beispielsweise 334 Euro pro Monat betragen würde. Die dadurch erzielten Einnahmen könnten gezielt für die Sanierung von Altbauten eingesetzt werden, um deren Abriss zu vermeiden und sie auf Klimaschutzstandards zu bringen. Auch die Stadt Wien hat erste Maßnahmen ergriffen, wie die Zwangsverwaltung eines sogenannten Spekulationshauses zeigt, doch eine umfassendere Strategie zur Nutzung leerstehender Wohnungen scheint dringend erforderlich.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem basiert auf unendlichem Wachstum in einer Welt mit endlichen Ressourcen, ein Paradoxon, das zunehmend unsere ökologischen und sozialen Grundlagen untergräbt. Gibt es einen Gegenentwurf dazu? Die Degrowth-Bewegung. Diese fordert, wirtschaftliche Aktivität auf das zu reduzieren, was nötig ist, und dabei soziale Gerechtigkeit und ökologische Stabilität in den Mittelpunkt zu stellen Statt „immer mehr“ zu konsumieren, geht es um „besser, gemeinsam und nachhaltiger“ zu leben. Strategien wie die Umverteilung von Ressourcen, kürzere Arbeitszeiten oder der Ausbau gemeinschaftlicher Infrastrukturen zeigen, dass Wohlstand nicht zwingend Wachstum erfordert. Besonders wichtig ist dabei, grundlegende Bedürfnisse wie Wohnen für alle zu sichern, während unnötige Konsumgüter und Ungleichheiten reduziert werden.
Besonders spannend wird es bei der Wohnpolitik. Statt Eigentum und Profitlogik setzt Degrowth auf gemeinschaftliche Wohnformen und die Entkommerzialisierung von Immobilien. Eine zentrale Forderung ist die Verringerung der pro Kopf genutzten Wohnfläche, da diese in wohlhabenden Ländern oft extrem hoch ist. Weniger Wohnfläche pro Person reduziert nicht nur die Umweltbelastung, sondern ermöglicht auch eine gerechtere Verteilung. Das klingt vielleicht ein bisschen radikal, ist aber vor allem eine clevere Lösung: weniger Verschwendung, mehr Platz für alle und Städte, in denen man gerne lebt. Darüber hinaus: Lokale, dezentrale Entscheidungsprozesse und gemeinschaftliche Ansätze fördern sowohl ökologische als auch soziale Nachhaltigkeit und stärken die Gemeinschaft. Degrowth ist kein Verzicht, sondern eine Einladung, Wirtschaft und Wohnen neu zu denken – nachhaltig, solidarisch und ein bisschen frecher als das ewige „Mehr“.
Aber wie kann Wohnen anders gelebt werden?
In dieser Reportage widmen wir uns zwei Ansätzen, die diesen Fragen begegnen: Squatting/Hausbesetzungen und dem HabiTAT, einem österreichischen Netzwerk inspiriert von dem deutschen Vorbild Mietshäuser Syndikat. Beide Modelle entziehen Wohnraum der kapitalistischen Verwertungslogik, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Hausbesetzungen nehmen aktiv Leerstand in Angriff, während HabiTAT-Projekte Gebäude als kollektives Eigentum sichern, um langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Häuser denen, die drin wohnen!“ ist der zentrale Gedanke, der kollektives Wohnen und den Schutz vor Spekulation ermöglicht.
Die Verbindung dieser Ansätze mit Degrowth liegt auf der Hand: weniger Flächenverbrauch, gemeinschaftliches Wohnen, nachhaltige Nutzung von Ressourcen und die De-Kommodifizierung von Wohnraum sind zentrale Elemente.
In Videos, Interviews und Bildern zeigen vier Personen, wie sie Wohnraum neu denken und gestalten – jenseits von Profitlogik und Vereinzelung. Die Chancen und Herausforderungen dieser Ansätze werden sichtbar und regen an, einen Beitrag zu einer gerechten und nachhaltigen Zukunft zu leisten.
Wenn wir Wohnen als Menschenrecht begreifen, müssen wir mutig sein, neue Wege zu gehen – für ein gutes Leben für alle.
Photo by Aliza Moe Karn
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Leerstand in Zahlen
Die Statistik Austria geht laut jüngsten Erhebungen von einer Leerstandsquote von ca 80.000 Wohnungen aus, allein im Raum Wien. Die Grafik zeigt einen stetigen Leerstandsanstieg vom Jahr 2020 bis 2024, womit zu einer weiteren Verknappung des Wohnraums beigetragen wird.
Wir brauchen Alternativen. Jetzt!
Photo by Antonio Šećerović
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Die Praxis Squatting im Fokus - Aktivismus und Leerstand
"Das Besetzen von Gebäuden ist die illegale Aneignung von privatem oder öffentlichem Leerstand, um Wohnraum oder autonome Räume für soziale und politische Zwecke zu schaffen."
Photo by HabiTAT
Photo by HabiTAT
Mietshäuser Syndikat und habiTAT - Alternative Wohnformen
“Homelessness exists not because the system is failing to work as it should, but because the system is working as it must.”
Die Praxis Squatting im Fokus - Aktivismus und Leerstand
"Das Besetzen von Gebäuden ist die illegale Aneignung von privatem oder öffentlichem Leerstand, um Wohnraum oder autonome Räume für soziale und politische Zwecke zu schaffen."
Squatting als Wegweiser in eine nachhaltige Zukunft?
In einer Welt, die von Wohnraumknappheit, steigenden Mieten und wachsender sozialer Ungleichheit geprägt ist, rückt eine scheinbar radikale Praxis in den Fokus: das Besetzen von leerstehenden Gebäuden, auch bekannt als Squatting. Diese gesellschaftlich häufig negativ dargestellte Praxis könnte jedoch nicht nur eine Lösung für die akute Wohnungsnot darstellen, sondern auch den Weg in eine nachhaltigere Gesellschaft ebnen – und das mit einer langen Tradition.
“Squatting” hat eine lange Tradition. Historisch gesehen begann das Besetzen von leerstehenden Gebäuden nach dem Zweiten Weltkrieg als pragmatische Antwort auf die Zerstörungen von Wohnraum. Seit den 1960er Jahren entwickelte sich daraus zunehmend eine politische Praxis, die sowohl gegen die Kommerzialisierung urbaner Räume als auch für das Recht auf Wohnen kämpft. Heute dient das Besetzen von Gebäuden vor allem als Zuflucht für Menschen, die sich Wohnungen nicht leisten können, und als Raum für gemeinschaftliche, selbstorganisierte Projekte.
Doch Squatting ist mehr als ein Mittel zum Zweck: Es steht für einen alternativen Lebensstil, der das Konzept von „Wohlstand ohne Wachstum“ (Degrowth) greifbar macht. Statt immer mehr Ressourcen zu verbrauchen, setzt es auf die optimale Nutzung bestehender Strukturen. Das Renovieren leerstehender Gebäude benötigt weitaus weniger Material und Energie als Neubauten, während kollektives Wohnen den Flächenverbrauch und die individuellen Kosten erheblich reduziert. Gleichzeitig hinterfragt die Praxis die Grundprinzipien der kapitalistischen Marktwirtschaft, in der Wohnraum primär als Ware statt als Grundrecht betrachtet wird.
Squatting trägt auch auf monetärer Ebene zur Degrowth-Bewegung bei. Mietkosten – oft der größte Posten in den Haushalts-Ausgaben – entfallen, wodurch finanzielle Ressourcen für andere Zwecke frei werden. Gemeinschaftliche Strukturen ermöglichen zusätzlich Einsparungen durch das Teilen von Werkzeugen, Lebensmitteln und Infrastruktur. Doch der wahre politische Wert des “Squattings” liegt in seiner Fähigkeit, Menschen zu politisieren. Wer zunächst aus finanzieller Not Teil einer Besetzung wird, erkennt oft die Stärke kollektiven Handelns und hinterfragt das System, das Ungleichheit und Ausbeutung fördert. Geringe oder keine Mietzahlungen ermöglichen es Menschen, weniger Zeit für Lohnarbeit aufzuwenden und stattdessen mehr Zeit für Selbstorganisation und persönliche Entwicklung zu haben.
Wegen der Illegalität des “Squattings” folgen von staatlicher Seite häufig unverhältnismäßige Repressionen und die Kriminalisierung der Hausbesetzer:innen. Das schreckt viele Menschen ab und schränkt das langfristige Potenzial dieser Bewegung ein. Doch Verhandlungen mit Eigentümer:innen oder die Förderung von Co-Housing-Modellen könnten legale Wege sein, um Squatting als ernsthafte Alternative zu etablieren.
Die Vision ist ebenso radikal wie inspirierend: Eine Welt, in der Menschen Besitz hinterfragen, solidarisch zusammenleben und den Teufelskreis von Konsum und Wachstum durchbrechen. Squatting mag keine Lösung für alle sein, doch es könnte ein mächtiges Werkzeug sein, um eine gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft zu gestalten – Schritt für Schritt, Haus für Haus.
IIn Wien ist der Besetzungsaktivismus ein Phänomen, das zwischen Protest und gelebter Alternative existiert. Wir treffen den Aktivisten Mücke, der von seinem Weg in die Wiener Hausbesetzer:innenszene berichtet. Dieser war geprägt von Frustration über den klassischen Aktivismus und dem Wunsch nach radikaler Selbstbestimmung „Ich wollte nicht mehr um Veränderungen bitten, sondern mir nehmen, was uns zusteht – etwa Wohnraum“, erklärt er. Die Initialzündung kam durch Freunde aus Brüssel, wo das Squatten bereits etabliert war. Gemeinsam begannen sie nach leerstehenden Gebäuden zu suchen, beobachteten potenzielle Objekte und entschieden sich schließlich für ein Haus. Sie betraten es einfach über die Vordertür und eigneten sich die Immobilie an.
Das Besetzen von Häusern ist für Mücke nicht nur ein Akt der Aneignung, sondern auch ein politisches Statement: “Es geht auch darum, Freiräume zu schaffen und den starren Immobilienmarkt herauszufordern.” Dabei entstehen kreative und gemeinschaftliche Projekte, die ansonsten keinen Platz finden würden. Doch der Weg ist steinig: „Unsicherheit ist die größte Herausforderung“, beschreibt er. Die ständige Gefahr, entdeckt und geräumt zu werden, prägt den Alltag. Alles – von Strom und Wasser bis zu Reparaturen – muss eigenständig organisiert werden. Der Schlüssel zum Umgang mit dieser Unsicherheit ist eine gute Vorbereitung, wie der Aktivist betont. „Wir haben immer einen Plan B – etwa einen Ausweichraum, in den wir schnell umziehen können.“
Trotz der Herausforderungen gibt es auch Lichtblicke. Besonders stolz ist er auf das aktuell besetzte Haus, das die Gruppe langfristig halten konnte. Es bietet ihnen die Möglichkeit, ihre kreativen und gemeinschaftlichen Visionen zu verwirklichen. Gleichzeitig bleibt der Umgang mit der Polizei ein heikles Thema. Während stille Besetzungen darauf abzielen, unentdeckt zu bleiben, setzen offene Besetzungen auf die Öffentlichkeit, um politischen Druck aufzubauen. Beide Strategien haben ihre Vor- und Nachteile: Während stille Besetzungen das tägliche Leben erleichtern, dienen offene Besetzungen als lauter Protest gegen die Wohnungspolitik.
Die Gesetzeslage in Wien macht es Besetzer:innen jedoch schwer. Hausbesitzer:innen können ohne Begründung Räumungen durchsetzen, was die Szene in den letzten Jahren geschwächt hat. Dennoch sieht der Aktivist Hoffnung: „Es gibt wieder mehr Besetzungen, die sich sowohl auf das Thema der politischen Sichtbarmachung, als auch auf die Aneignung von Wohnraum konzentrieren.“ Langfristig träumt er von einem kollektiven Wohnprojekt ohne Angst vor Räumung – ein Ort des kreativen und gemeinschaftlichen Lebens. So sieht er die Besetzungsbewegung als Teil einer größeren Vision: Freiräume zu schaffen, die unabhängig vom Kapitalismus existieren, und Menschen Alternativen zum traditionellen Wohnen aufzuzeigen.
Mit Engagement und Kreativität will er dazu beitragen, Wien wieder „squatbar“ zu machen. Sein Ziel ist es, den Aktivismus lebendig zu halten, Menschen zu inspirieren und neue Wege des Zusammenlebens zu etablieren. Es bleibt ein ständiger Kampf, aber die Vision eines solidarischen und selbstbestimmten Lebens treibt ihn und seine Mitstreiter:innen weiter an.
Im folgenden Video berichtet Aktivist:in Zora von den Vor- und Nachteilen des kollektiven Zusammenlebens in einem besetzten Haus:

Mietshäuser Syndikat und habiTAT - “Häuser denen, die drin wohnen”
Wohnen als Ware ist eines der Probleme, die durch die aktuellen Spekulationen auf dem Immobilienmarkt, die Preise immer weiter erhöhen lassen. In diesem Ungleichgewicht, der steigenden Mieten, finden sich Gruppen an Menschen zusammen, um neue Wege zu finden, Wohnen anders zu gestalten und Mieten bezahlbar zu machen.
In Deutschland gründete sich 1983 in Freiburg das Mietshäuser Syndikat (MHS) aus der Besetzer:innenszene heraus und ist heute eine GmbH. Diese Rechtsform dient der Gewaltenteilung der zwei Parteien, bestehend aus dem Dachverband Mietshäuser Syndikat und den einzelnen Hausprojekten. Dadurch lässt sich absichern, dass die einzelnen Projekte nicht mehr auf dem Spekulationsmarkt landen und reprivatisiert werden. Da die Anteile so aufgeteilt sind, das die jeweilige Partei ein Vetorecht besitzt, einzuschreiten, sobald die andere Seite die Immobilie verkaufen möchte und dennoch behalten die einzelnen Projekte die Autonomie der Selbstverwaltung und Geschäftsführung.
Heute gibt es bereits 193 autonome und selbstorganisierte Hausprojekte und 30 Projektinitiativen unter dem Dachverband Mietshäuser Syndikat.
2014 gründete sich in Österreich der Verein habiTAT, nach dem Vorbild des Mietshäuser Syndikats. Aktuell bestehen 9 habiTAT Hausprojekte unter dem Dachverband.
Doch das Mietshäuser Syndikat und das habiTAT sind mehr als nur ein Zusammenschluss von Hausprojekten. Es ist eine Bewegung, die tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen anstrebt. Indem es die Kommodifizierung von Wohnraum infrage stellt, fordert es ein neues Verständnis von Eigentum und Gemeinschaft. Die Idee, dass Wohnen ein Grundrecht und nicht nur eine Ware ist, gewinnt immer mehr an Bedeutung.
Wohnen gehört zu den politischen Räumen der Stadt und des Alltags und ist ein stetig umkämpfter Bereich, die sich diese Vereine annehmen.
Photo by Lina Hurlin
Photo by Lina Hurlin
Wir treffen Lina Hurlin, um mehr über das Mietshäuser Syndikat zu erfahren. Sie hat selbst bereits in einem MHS Hausprojekt gelebt und erzählt uns, was Degrowth und Wohnen für sie bedeutet. Sie sagt: “[der neoliberale Kapitalismus] ist eben einfach ein System, was dazu beiträgt, dass Wohnen etwas sehr Ungerechtes ist und Umwelt ist nochmal ein ganz großes Thema. [...] ein Ansatz in Mietshäusersyndikaten ist, das anders zu machen und andere Baustoffe und so weiter zu wählen, damit es finanzierbar ist.“ Die große Frage: “Wie kann man Wohnen und wie kann man den Kauf von Immobilien und Vergesellschaftung so organisieren, dass es eben nicht zur Gewinnmaximierung von Einzelnen ist, sondern ein gerechtes Wohnen oder ein selbstbestimmtes Wohnen für viele ermöglicht?”
Denn das grundlegende Problem besteht darin, dass “man überhaupt in Frage stellt, dass Grund und Boden eine Ware ist. Es ist aus dem heutigen aktuellen System nicht wegzudenken und da liegt das Problem … oder eines davon.”
Dieser Punkt muss für Lina Hurlin mitgedacht werden, um wirklich die Problematisierung der Mietenkrise betrachten zu können. Lina Hurlin ist der Meinung, dass “wenn man das wirklich ändern will, dann muss man nachhaltig am System rütteln.”
Allerdings sind auch andere Aktionsformen und Hebel wichtig für das Erreichen dieser Ziele. Daher muss sich auch auf gesetzlicher Ebene und anderen Bereichen für ein gerechteres Wohnen eingesetzt werden, um dieses Ungleichgewicht nachhaltig zu verändern, “es gibt viel zu tun, würde ich sagen. Und ich glaube, dass das nicht alles ein Ansatz, aber auch nicht einer, der für alle funktioniert und der für alle Fälle funktioniert. Ich glaub, da braucht es mehr. Wir haben also vieles an verschiedenen Stellen”. Dieser Gedanke spielt auch im Ansatz von Degrowth eine besondere Rolle, den Lina Hurlin kurz anschneidet: “eine Gesellschaftsform zu entwickeln, die nicht mit diesem kapitalistischen Wachstumsgedanken funktioniert, sondern sich ein anderes Ziel setzt und zwar ein gutes Leben für alle zu erreichen”.
Jedoch gibt es auch Einstiegshürden. Eine dieser großen Hürden ist der finanzielle Aspekt, denn der Kauf der Immobilien und die Renovierung nach einem Ressourcen sparendem Konzept, bedarf hohe Kosten. Eine Strategie, die von dem Mietshäuser Syndikat und dem HabiTAT, gefahren wird, ist die der Kredite und Direktkredite. Dabei werden Kredite von Privatpersonen gestellt, die jederzeit ausgezahlt werden können und jederzeit neu vergeben werden können. Sobald die Kredite zurückgezahlt sind und das Haus abbezahlt, werden weiterhin Mieten gezahlt, die in ein Solidarischen Topf gehen, von welchem neue Hausprojekte mitfinanziert werden. Dabei wird stark darauf geachtet, dass die Mieten nicht erhöht werden, sondern immer gleich bleiben. Denn diese Projekte, “zeigen, dass es anders geht und wir zeigen, dass es nicht das Einzige ist, dass man das, dass man gewinnorientiert den Immobilienmarkt führen kann und sollte, sondern dass eben dieses Konstrukt von Wohnraum als Ware auch hinterfragt wird.”
Aber was tun, wenn einen nun selbst die Begeisterung gepackt hat, ein solches Hausprojekt zu gründen? Für Lina Hurlin ist eine gefestigte Gruppe, die stabil genug ist, um auch mögliche Hürden auszuhalten, essentiell. Außerdem ist ein gut aufgestellter Finanzplan und natürlich eine geeignete Immobilie grundlegend. Falls es Fragen gibt und es einer gewünschten Unterstützung bedarf, gibt es Beratungsgespräche vom Mietshäuser Syndikat.
Das österreichische Pendant dazu ist das habiTAT. Das SchloR Gelände ist eines dieser Projekte, welches zum habiTAT gehört. Doch sind nicht nur Wohnungen Teil des SchloRs. Es beherbergt auch Ateliers, Werkstätten, Proberäume, Seminarräume, einen Box- und Tanzraum, einen Töpferraum und eine riesige Turnhalle, die besonders für Zirkuskünstler:innen geschaffen wurde.
Eva-Maria ist eine Bewohnerin und Mitglied der SchloR Gemeinschaft. Sie ist Mitbetreiberin der Zirkushalle TRAP und berichtet uns über das Leben im SchloR Kollektiv, das habiTAT und eine solidarische, aktivistische Zukunft. Auch im Schlor werden monatlich Beratungs- und Informationsveranstaltungen angeboten, um wiederum ein ähnlichee Projekte initiieren zu können.

Gemeinsam für eine gerechte Wohnzukunft – Degrowth jetzt leben!
Die Wohnfrage ist nicht nur ein Problem, sondern eine riesige Chance. Sie zeigt uns, wo das kapitalistische System versagt: Wohnraum wird zur Ware, Mieten explodieren, und währenddessen stehen unzählige Wohnungen leer. Aber genau hier setzt Degrowth an: Es fordert uns auf, aus diesem Wachstumszwang auszubrechen und stattdessen Wohnraum als gemeinschaftliches Gut zu begreifen. Weniger Ressourcenverbrauch, mehr Solidarität – das ist die Formel, die nicht nur unser Zusammenleben, sondern auch unseren Planeten retten kann.
Hausbesetzungen und Projekte wie das Mietshäuser Syndikat oder habiTAT zeigen uns konkrete Alternativen. Hier wird Wohnraum dem Markt entzogen, gemeinschaftlich genutzt und mit minimalem Ressourcenverbrauch bewirtschaftet. Gemeinschaftliches Wohnen senkt nicht nur den Flächenbedarf pro Person, sondern reduziert auch Umweltbelastungen durch geteilte Infrastrukturen und nachhaltige Sanierungen. Gleichzeitig schafft es Freiräume für Selbstorganisation und politisches Engagement – alles zentrale Bausteine einer Degrowth-Gesellschaft.
Wohnen kann neu gedacht werden, jenseits von Konsum- und Wachstumszwang. Degrowth gibt uns die Blaupause: Es zeigt, wie wir unseren Lebensstil anpassen können, um soziale und ökologische Gerechtigkeit in Einklang zu bringen. Jetzt ist die Zeit, sich zu engagieren! Lasst uns gemeinsam Visionen für eine gerechtere und nachhaltigere Wohnzukunft entwickeln – Schritt für Schritt, Haus für Haus, Stadt für Stadt. Degrowth ist kein Verzicht, sondern eine Einladung, das Leben neu zu gestalten – solidarisch, nachhaltig und mit Freude an der Veränderung.

Beispiele - Praxis im Alltag
- Degrowth Deutschland - https://degrowth.info/de/degrowth-de
- Miethäuser Syndikat (MHS) - https://www.syndikat.org
- https://schlor.org/
- habiTAT - https://habitat.servus.at
- Degrowth Vienna - https://www.degrowthvienna.org
- How To: Squatting:
https://bsstwien.noblogs.org/files/2024/07/ZINE_KERN.cleaned.pdf
- Schlor Architektur - Gabu Heindl
https://www.gabuheindl.at/de/uebersicht/wohnen-und-arbeiten/schlor-schoener-leben-ohne-rendite-habitat.html - Die Grünen Leerstand - https://wien.gruene.at/news/soziale-gerechtigkeit/wiener-leerstandsabgabe/
- Leerstandsmelder - https://leerstandsmelder.de/wien/
- https://www.derstandard.at/story/3000000240783/wie-menschen-die-wohnungen-leer-stehen-lassen-bestraft-werden-koennten
- Zwangsräumungen verhindern (En commun) - https://transversal.at/blog/en-commun-solidarisch-durch-die-krisen
- Lexikon der Nachhaltigkeit - https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/degrowth_1849.htm
- 11. Degrowth Konferenzen 2025 - https://isee-degrowth2025.no
- Offene Hausbesetzung Harmoniegasse - https://www.derstandard.at/story/3000000217115/wo-in-oesterreich-zuletzt-haeuser-besetzt-wurden
- Offene Hausbesetzung Harmoniegasse - https://www.falter.at/morgen/20240422/montag-22-04



Literaturliste
Bücher:
Barlow, Nathan, Livia Regen, Noémie Cadiou, Ekaterina Chertkovskaya, Max Hollweg,
Christina Plank, Merle Schulken und Verena Wolf (2022): Degrowth and Strategy: how to bring about social-ecological transformation, [online] www.mayflybooks.org.
Brokow-Loga, Anton und Frank Eckard (2020): Postwachstumsstadt: Konturen einer solidarischen Stadtpolitik, oekom Verlag: München.
Savini, Federico, António Ferreira und Kim Carlotta Von Schönfeld (2022): Post-Growth planning, Routledge eBooks, [online] 10.4324/9781003160984 .
Nelson, Anitra/Schneider, François (2019): Housing for Degrowth: Principles, Models, Challenges and Opportunities, [online] https://iris.polito.it/handle/11583/2769032.
Schulz, Christian, Bastian Lange, Martina Hülz und Benedikt Schmid (2020): Postwachstumsgeographien, transcript Verlag eBooks, [online] 10.1515/9783839451809-003 .
Schönig, Barbara und Lisa Vollmer (2020): Wohnungsfragen ohne Ende?!: Ressourcen für eine soziale Wohnraumversorgung, transcript Verlag.
Artikel:
Engels, Friedrich (2020): Zur Wohnungsfrage, in: transcript Verlag eBooks, S. 197–214, [online] 10.1515/9783839453513-010 .
Hewitt, Lucy E. (2012b): Cities for people, not for profit: critical urban theory and the right to the city, in: Planning Perspectives, Bd. 27, Nr. 3, S. 476–478, [online] 10.1080/02665433.2012.680283 .
Hölzl, Corinna/Dominik Hölzl (2022): Establishing new housing commons in Vienna in the context of translocal networks, in: Housing Studies, Bd. 39, Nr. 5, S. 1152–1175, [online] 10.1080/02673037.2022.2104820 .
Kitzmann, Robert (2022): Home swapping as a degrowth strategy for housing, in: Urban Geography, Bd. 43, Nr. 8, S. 1231–1239, [online] 10.1080/02723638.2022.2093503 .
Kunkel, Kalle (2022): Was hat „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ zu dem gemacht, was es ist?, in: Sub\Urban Zeitschrift für Kritische Stadtforschung, Bd. 10, Nr. 1, S. 221–236, [online] 10.36900/suburban.v10.1.756 .
Penninger, Daniel (2020): Schöner Leben ohne Reihenhaus!, in: Zeitschrift für Kritik - Recht - Gesellschaft, Nr. 3, S. 376, [online] 10.33196/juridikum 202003037601.

